Sauerstoffradikale, oxidativer Stress und Antioxidantien

Antioxidanzien

Zum Leben brauchen wir Sauerstoff. Unser Körper nutzt ihn, um Energie zu gewinnen. Ein Teil des Sauerstoffs geht dabei verloren und wird in die sogenannten reaktiven Sauerstoffspezies (die freien Radikale)umgewandelt. Man schätzt, dass dies rund 1 bis 3 % des Sauerstoffs betrifft. Diese Sauerstoffspezies sind hochreaktive Teilchen, die Zellen und Erbgut schädigen können. Eine übermäßig hohe Konzentration an Sauerstoffradikalen im Organismus bezeichnet man als oxidativen Stress.

Können wir uns vor Radikalen durch Vitamine schützen?

Wieso können Antioxidantien auch schaden und Radikale auch nützen?

 

Wieso schaden uns die Sauerstoffradikale?

Bereits in den 1950er-Jahren stellte der amerikanische Forscher D. Harman die Theorie auf, dass freie Radikale Arteriosklerose auslösen oder unsere Erbsubstanz schädigen und so ein Krebsgeschehen anstoßen. Diese Theorie hat heute noch Bestand.

Heute weiss man jedoch, dass diese Radikale sind nicht in jedem Fall gefährlich sind. Unser Körper hat gelernt, damit umzugehen, indem er „Schutzmoleküle“ wie etwa das Enzym Katalase produziert, um sich vor diesen Radikalen zu schützen. Überdies nehmen wir mit der Nahrung sogenannte Antioxidantien auf, welche ebenfalls in der Lage sind, den Körper vor den gefährlichen Radikalen zu schützen. So weit so gut. Im Alter aber lässt die Wirkung der natürlichen Schutzmechanismen nach, und wir werden anfälliger für oxidativen Stress. Ein allfälliger Mangel an Antioxidanzien (z. B. Vitamine wie A, C oder E) durch eine Fehlernährung oder Angewohnheiten wie das Rauchen verschärft das Problem weiter. Das Resultat: Arteriosklerose und Krebs entsteht.

Können wir uns vor Radikalen durch Vitamine schützen?

Aus der Tatsache heraus, dass auch künstlich zugeführte Antioxidantien Radikale abfangen können, entsprang eine logische Idee: Wir führen unserem Körper Antioxidanzien zu, um unseren Körper vor Radikalen zu schützen. Diese Überlegung führte in den 1980-er Jahren zum Antioxidanzien-Boom. Schnell wurden entsprechende Antioxidantien – in der Form von Vitamin-Präparaten – von verschiedenen Händlern angeboten, zum Teil als Kuren mit sehr hohen Dosen. Wie aber mehrere Studien zeigten, erhöhen solche Präparate – mit Ausnahme von Vitamin C – das Krebsrisiko 1), 2). Daher muss heute von einer Einnahme von zum Beispiel Vitamin A und E abgeraten werden, ausser man leidet nachgewiesenermaßen an einem Mangel.

Vitamine; früher Topp, heute ein Flopp

Wieso können Antioxidantien auch schaden und Radikale auch nützen?

Die negativen Auswirkungen von Antioxidanzien auf die Gesundheit erklären erklärt man sich auf eine interessante Weise. Man geht heute davon aus, dass der Körper einen gewissen „oxidativen Stress“ braucht. Die reaktiven Sauerstoffspezies sind unter anderem für ein funktionierendes Immunsystem, die Entgiftung von Substanzen oder die Zerstörung von Fremdzellen wichtig und leiten überdies die Apoptose von Körperzellen ein. Die Apoptose – das Selbstmordprogramm der Zelle – soll bei einer Schädigung der Erbsubstanz von der Zelle zwar von alleine ausgelöst werden, kann aber „zur Not“ auch von außen angeregt werden.

Eliminieren wir die freien Radikale durch die Einnahme von Antioxidanzien, so begünstigen wir daher am Ende unter Umständen ein Überleben der Krebszellen. Die negative Auswirkung von Antioxidanzien lässt sich eindrücklich am Beispiel des Krebsmedikamentes Cisplatin illustrieren. Dieses Medikament tötet Brustkrebszellen, indem es durch die Bildung   freier Radikale die Apoptose einleitet. Die gleichzeitige Anwesenheit des Antioxidans Vitamin E zerstört diese Radikale, wodurch das Krebsmedikament nachweislich an Wirkung einbüsst.

Ist es also gesund, ständig für einen hohen Level an aggressiven Radikalen zu sorgen? – Leider nein. So einfach liegen die Dinge nun auch wieder nicht. Ein zu hoher Spiegel dieser sehr aggressiven Verbindungen kann nicht nur Arteriosklerose sondern auch Krebs tatsächlich überhaupt erst auslösen. Freie Radikale sind also weder zwingend schlecht noch uneingeschränkt gut für unseren Körper. Vielmehr kommt es auf die richtige Dosierung und den richtigen Zeitpunkt an. Genauso, wie uns eine dicke Jacke im Sommer einen Hitzschlag beschert, uns jedoch im Winter vor einer Unterkühlung schützt, so können freie Radikale nützen oder schaden. So lange wir aber nicht wissen, welches Niveau an reaktiven Radikalen wann (und für wem) nützlich ist, sollten wir auf die Einnahme von Antioxidanzien verzichten.

Obwohl Vitamin C ebenfalls ein starkes Antioxidans ist, ließen sich übrigens trotz umfangreicher Forschungstätigkeiten auf diesem Gebiet niemals irgendwelche schädlichen Auswirkungen bei seiner Einnahme nachweisen. Die in den 1970er Jahren aufgestellte Hypothese des Chemienobelpreisträger Linus Carl Pauling, hohe Vitamin-C-Dosen (10 g pro Tag) seien hilfreich bei Krebsbehandlung und Prävention, konnte aber auch nie bewiesen werden. Dass Pauling 93 Jahre alt wurde, ist wohl auf andere Faktoren zurückzuführen.

 

Literatur

1)            G.S Omenn et al, Effects of a combination of beta carotene and vitamin A on lung cancer and cardiovascular disease. N Engl J Med (1996) 334 : 1150–1155
2)            S.M. Lippman et al., Effect of Selenium and Vitamin E on Risk of Prostate Cancer and Other Cancers The Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial (SELECT). JAMA (2009) 301(1):39-51
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